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Die
Puppen sind anklickbar.
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Wie
sieht ein Russe den in Deutschland ausgebrochenen Wahlkampf? Der
hier bereits laufende Wahlkampf ist wohl inhaltsreicher, als viele vor ihm
gewesen sind. Ist auch verständlich, da die Bundesrepublik
vor einer schicksalsschweren
Entscheidung steht.
Vor der Wahl zwischen einer neoliberalen Gesellschaft, wie sie zum
Beispiel in den USA existiert. Und einer verantwortungsbewussten, dem
sozialen Wohl ihrer Bürger verpflichteten Gesellschaft, wie sie in der
Bundesrepublik selber viele Jahrzehnte musterhaft existierte. Die ein
schnelles Wirtschaftswachstum und den Wohlstand der Bevölkerung unter
einen Hut bringen kann. Wie
es zu einem Land gehört, das auf seinen
Ruf, die Domäne der
Denker und Dichter einerseits, und
des Fleißes und der Tüchtigkeit
andererseits zu sein, Wert legt und sich bemüht, diesen Ruf
endgültig wiederherzustellen.
Warum
die scheinbar gesicherte Fortbewegung Deutschlands auf dem
bewährten Weg gestoppt wurde, ist eine schwierige Frage. Der
Verfasser neigt zu der Meinung, die Störungen kamen mehr von außen als
von innen. Nachdem die Zwänge,
die es in der Zeit des Kalten Krieges gab, wegfielen, änderten sich
auch die Existenzbedingungen der Bundesrepublik in Europa und in der
Welt. Früher genoss sie als Vitrine der freien Welt einen Schonstatus.
Dann aber wurde sie vor allem als
immer stärker werdender, gefährlicher Mitbewerber wahrgenommen. Ihre Prosperität gehörte nicht
mehr zu den Voraussetzungen des eigenen Wohlergehens ihrer Verbündeten.
Den harten Winden einer Welt ausgesetzt, wo noch in vielem
Dschungelgesetze herrschen, musste sie mit neuen, wachsenden
Belastungen fertig werden. Hinzu
kam die Globalisierung der Wirtschaftsverhältnisse im Sinne des
Neoliberalismus made in USA. Im Endergebnis litt
die soziale Gerechtigkeit, die jahrzehntelang die hiesigen
Menschen beflügelte und den
überaus meisten von ihnen eine schöne Lebensperspektive öffnete. Zu dem jetzt im Lande tobenden Wahlkampf zurück, muss man sagen, dass er, obwohl in den Medien oft zu einem Zank herabwürdigt, viel dazu beitragen kann, den Blick der Deutschen für die Verhältnisse im eigenen Land und außerhalb zu schärfen. Jenen Blick, den ihr wohlverdientes sattes Laben mitunter trübte. Das ist das Gute an der laufenden Auseinandersetzung. Zwar
schreiben alle- oder fast alle- deutschen Politiker, die jetzt um die
Gunst der Wähler buhlen, auf
ihre Banner ungefähr dasselbe. Zuerst mal Beschaffung neuer Arbeitsplätze,
dann die bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Bildung. Und vieles andere
mehr, was früher zum Erbgut der Deutschen zu gehören schien. Und jetzt
zwischen den Fingern zu zerrinnen droht. Aber
der verständlicherweise um seine und des Landes Zukunft besorgte
deutsche Wähler lässt sich vermutlich
mit bloßen Absichtserklärungen nicht abspeisen. Er wird schon
genau darauf gucken, was ihm als Heilmittel gegen das Desaster
verkauft wird. Auch
über die deutschen Grenzen
hinweg schickt der
Wahlkampf in Deutschland wichtige Signale. Vor allem nach Russland. Vermutlich
gibt es kein anderes Land in der Welt, wo das Geschehen in Deutschland
schon seit jeher so aufmerksam verfolgt und bewertet wurde. Bei allen,
in Russland kaum
vermeidbaren Verwerfungen, wurde
die Richtung, die es seit
seiner Wende eingeschlagen
hat, vom deutschen Beispiel
mitinspiriert und mitkorrigiert. Wenn das bevorzugte Partnerland keine
Erneuerung erfährt und seine Krise nicht bewältigt, wird es
für Russland ein
schwerer Schlag sein. Aber das muss uns nicht passieren. Geht es doch um die kreativsten Länder Europas. Wer, wenn nicht sie, können mithelfen, einen Ausweg aus der Sackgasse der westlichen Zivilisation zu finden. Erst recht, wenn sie ihre Partnerschaft, die den Austausch von sozialen Erfahrungen einschließen soll, weiter pflegen. 14.6.05
Zu den Landtagswahlen in Nordrhein- Westfalen: Es war ein Fall, wo die Auguren eine und dieselbe Meinung von sich gaben. Alle sagten eine schwere Niederlage der Regierungskoalition voraus. Und alle wiesen auf dieselben Ursachen der zu erwartenden Niederlage der Rot-Grünen hin. Die unvermindert hohe Arbeitslosigkeit, der fortschreitende Abbau sozialer Leistungen. In einem demokratischen Land werden die Regierenden dafür vom Wählervolk abgestraft. Ausweichen gelingt selten. Franz Müntefering versuchte es, als er von der Habgier des Großkapitals sprach. Mit einer Deutlichkeit, die den sozialdemokratischen Äußerungen bereits mehrere Jahrzehnte fehlte. Das hat aber nicht viel gebracht. Denn der deutsche Wähler glaubt, dass nicht das Kapital die Puppen tanzen lässt. Sondern umgekehrt. So mussten die Sozialdemokraten und die Grünen volens- nolens den Sündenbock abgeben. Jetzt ist ihre Regierung wacklig geworden. Die Opposition kann im Bundesrat jedes Gesetz blockieren, das ihrem politischen Kalkül widerspricht. Und dieses ist dem Ziel untergeordnet, bei der Bundestagswahl zu siegen. Nach der in den hiesigen Medien verbreiteten Prognose ist damit auch in der anvisierten vorgezogenen Wahl zu rechnen. Eine andere Frage, ob dieser Sieg, sollte er eintreten, eine positive Wende in der wirtschaftlichen und sozialen Lage Deutschlands unbedingt bringt. Das ist schwieriger vorauszusagen als der Ausgang der Wahl. Denn die Opposition übte zwar, wie es sich gehört, harte Kritik an der Regierung, aber eine überzeugende Alternative der Regierungspolitik ist wohl noch nicht auf dem Tisch. Vor allem bleibt schleierhaft, wie kann man dem Großkapital, oder wie es hier euphemistisch heißt, der „Wirtschaft“, das Verhalten vorschreiben. Besonders angesichts der ausufernden Globalisierung und der EU- Erweiterung. Diese Prozesse, wie zwingend sie auch sein mögen, lassen den Großunternehmern immer die Möglichkeit, jedem politischen Druck mit der Drohung, irgendwo anders ihre Schäfchen grasen zu lassen, zu begegnen. Und damit die politische Führung des Landes zu erpressen. Insbesondere, wenn sich diese durch ihr Bekenntnis zum Neoliberalismus selbst kastriert. In Russland wurden die deutschen Erfahrungen schon immer mit viel Anteilnahme verfolgt. Als die Russen daran gingen, den Sozialismus, oder vielmehr das, was ihnen mit diesem Label verkauft wurde, durch die freie Marktwirtschaft abzulösen, schielten sie auf das ermunternde deutsche Beispiel. Der rheinische Kapitalismus war ihnen als das wunderbare Amalgam der Wohlfahrt des Volkes und des freien Unternehmertums zur Nachahmung empfohlen. Und von vielen akzeptiert. Das, was in Deutschland jetzt vor sich geht, wird die Russen nachdenklich machen. Und vermutlich ihre Zustimmung zur Begrenzung der Macht der Wirtschaftsgewaltigen im eigenen Lande stärken. Denn in Russland kann die Profitgier noch viel größeres Unheil anrichten als in Deutschland. 22.5.05 -------
Am Montag übertrug das deutsche Parlamentsfernsehen Phönix die Befragung des Außenministers Fischer vom Bundestagsausschuss zur Untersuchung der Visa- Angelegenheiten. Man darf sonst über die sogenannte Fernsehdemokratie verschiedener Meinung sein, aber eins ist ihr nicht abzusprechen. Sie ermöglicht eine, früher undenkbare Transparenz der Regierungsvorgänge. Wenn die Regierung es will. Und die deutsche Regierung will es anscheinend. So gewährte auch die Sendung vom Montag Einblick in eine Sphäre der deutschen Regierungstätigkeit, die früher und nicht nur hier zumeist hinter verschlossenen Türen praktiziert wurde. Obwohl gerade die Durchsichtigkeit der Außenpolitik zu den ältesten Forderungen der demokratischen Kräfte gehörte. Übrigens auch in Russland, wo die große Revolution 1917 forderte, mit der Geheimdiplomatie Schluss zu machen. Leider ohne Erfolg. Zu der Fernsehübertragung am Montag zurück, möchte man zuerst feststellen, dass der öffentlich und scharf befragte Minister Fischer die Gelegenheit nutzte, das Festhalten seiner Regierung an der Reisefreiheit und an der Offenheit des Landes hervorzuheben. Das muss die im Zusammenhang mit dem Missbrauch der Reisefreiheit entstandenen Befürchtungen zerstreuen. Das Kind wird nicht mit dem schmutzigen Wasser ausgeschüttet. Das ist erfreulich. Das ist für alle Europäer, auch für die Russen wichtig. Auch weil die Zusicherung aus einem Land kommt, das für die Reisefreiheit noch in einer Zeit rang, als die Russen, die sie jetzt voll genießen, nur von ihr träumten. Allerdings gab es in den Ausführungen des Bundesaußenministers Akzente, die bedenklich erscheinen können. So hat er etwas zu prononciert auf die Verquickung der Reisefreiheit und der Entfaltung der Demokratie in jenen Ländern hingewiesen, wo, seiner Meinung nach, diese Regierungsform noch unterentwickelt ist. Die Reisefreiheit, wie die anderen Freiheiten auch, ist aber an sich wertvoll genug. Sie als ein Instrument zu preisen, das die Demokratie in anderen Ländern zu forcieren imstande ist, hieße, ihr einen Bärendienst zu erweisen. Vielleicht sie sogar gefährden. Selbstverständlich ist eine Außenpolitik, die dieses Instrument einsetzt, keinesfalls mit dem von der Waffengewalt geförderten Export der Demokratie zu vergleichen, dem sich manche NATO- Verbündeten der Bundesrepublik verschrieben haben. Aber auch der Einsatz sanfterer Mittel kann Ergebnisse bringen, die den Erwartungen zuwiderlaufen. Zukunft hat nur jene Demokratie, die nicht von Außen hineingetragen wird. Auch wenn es nicht mit brutalen, sondern mit sanften Mitteln geschieht. Derjenige, der die politischen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland aus eigenem Erleben kennt, wird wohl daran nicht zweifeln, dass ihre Gäste mit mehr Begeisterung für Demokratie in die Heimatländer zurückkehren. Erst recht, wenn sie nicht das Gefühl bekommen, man will sie manipulieren. Das gute Beispiel reicht aus. Insbesondere wenn es nicht aufdringlich vorgehalten wird. Vielleicht hat der deutsche Außenminister für einen Augenblick dies vergessen. Schade, aber im Eifer des Gefechtes passiert mitunter auch Schlimmeres. 26.4.05 -------
Mit einer Gedenkfeier in Weimar haben am Sonntag ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald sowie Vertreter aus Politik und Gesellschaft der Befreiung der NS-Lager vor 60 Jahren gedacht. Mehrere prominente Redner mahnten im Deutschen Nationaltheater Weimar, im Kampf gegen die Überreste des nationalsozialistischen Gedankengutes nicht nachzulassen. Darunter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er sagte, die Bundesbürger müssen die Werte des Humanismus "jeden Tag aufs Neue verteidigen. In Deutschland wird dieser Auftrag immer gelten", versicherte der Kanzler. Die begangenen "Schandtaten“ könne man nicht "ungeschehen machen". Allenfalls aber ihrer Wiederholung vorzubeugen. Die
Teilnehmer der Veranstaltung warnten
vor einer "Verrohung des Denkens und der Gewaltbereitschaft“ in
der Gesellschaft. Skandalöse
Auftritte von NPD-Funktionären in Sachsen werteten sie
als Versuche der
Neonazis, sich in der Mitte
der Gesellschaft zu etablieren. In diesem Jahr erhielten auch andere Veranstaltungen in Deutschland zum Jahrestag der Befreiung der Überlebenden in den nazistischen KZs ein besonderes Format. Das ist nicht nur auf das runde Datum zurückzuführen. Die deutsche Öffentlichkeit lässt das Image des inzwischen in der Welt zum hohen Ansehen aufgestiegenen Landes nicht besudeln. Erst recht nicht von einer kleinen Minderheit, die unfähig ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Diese Haltung, die quer durch alle demokratischen Parteien in Deutschland geht, ist auch für andere Länder beispielgebend. Denn es gibt kaum ein größeres Land in der Welt, das sich mit einer einwandfreien Vergangenheit rühmen kann. Russland kann es auch nicht. Davon, ob man versucht, den Kehricht der Geschichte unterm Bett zu verstecken, oder ob man sich damit wie in Deutschland von Heute offen und ehrlich auseinandersetzt, hängt die Glaubwürdigkeit jedes Landes ab. Deshalb bleiben in Russland die Gedenkveranstaltungen in Deutschland nicht unbemerkt. Auch weil dem faschistischen Terror viel mehr Russen als Angehörige jeder anderen Nation zum Opfer fielen. Auf ihre Art beweisen die deutschen Veranstaltungen, dass die deutsch-russische Partnerschaft nicht nur politisch und wirtschaftlich zweckmäßig ist. Sie fördert die Gemeinsamkeit ethischer Werte. Oder, um das Wort eines großen Weimarer Dichters zu gebrauchen, die Wahlverwandtschaft beider Völker. Also etwas, was schwer zu messen, aber nichtsdestoweniger am wertvollsten ist. 10.4.05 ----------------------------- Die hiesige Presse berichtet über einen Streit im deutschen Auswärtigen Amt. Es geht um die posthume Ehrung deutscher Diplomaten mit nicht einwandfreier Vergangenheit. Diese Diplomaten haben ihre ersten Sporen bereits im Dritten Reich verdient. Übrigens waren darunter Menschen wie der letzte deutsche Botschafter in Moskau vor dem Zweiten Weltkrieg, Graf von der Schulenburg. Er hat bekanntlich versucht, den Angriff auf Russland zu vereiteln und wurde als Widerständler von der Blutjustiz des Dritten Reiches mit dem Tode bestraft. Problematischer sind allerdings andere Fälle. Sie ergeben sich aus der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches mit der von diesem Vorgänger geerbten Beamtenschar sehr behutsam umging. Die durch ihr früheres Tun nicht eindeutig belasteten Diener des Staates wurden vom demokratischen Deutschland in den Dienst übernommen. Sie erhielten damit die Gelegenheit, ihre Loyalität gegenüber dem neuen Dienstherrn unter Beweis zu stellen. Die überaus meisten haben die Probe bestanden. Dem neuen deutschen Staat blieben dadurch viele tüchtige und pflichtbewusste Fachleute erhalten. Im Russland der Sowjetzeit wurde die deutsche Toleranz missverstanden. Der Bundesrepublik wurde vorgeworfen, die ehemaligen Nazis zu begünstigen. Die russischen Medien, darunter auch der Vorgänger der Stimme Russlands, der Moskauer Rundfunk, machte den Vorwurf zu ihrem ständigen Repertoire. Später allerdings übte die Bundesrepublik dieselbe Toleranz auch gegenüber Sündern anderer Provenienz. Im Ergebnis zählt die heutige politische Elite der Bundesrepublik nicht wenig ehemalige Angehörige der linksextremen Vereinigungen. Aber auch ihnen wurden die Jugendsünden erlassen. Sonst hätten sich manche der heutigen Mitglieder der Bundesregierung eine andere Beschäftigung suchen müssen.
In Russland unter der Sowjetmacht war es leider nicht so. Hier genoss nur jener Vertrauen, der nie einen falschen Schritt getan hat. Die anderen waren zu Parias abgestempelt. Für sie kam eine Karriere im Staatsapparat nicht in Frage. Mitunter auch jeder andere Aufstieg nicht. Der Staat biss sich damit ins eigene Fleisch. Er verlor viele begabte und hochqualifizierte Fachleute. Die Praxis der Bundesrepublik ist nicht nur zweckmäßiger. Sie ist auch menschlicher. Sie trägt der Wandelbarkeit der Menschen Rechnung. Ihrer Fähigkeit, aus der Erfahrung zu lernen. Zum Streit im deutschen Auswärtigen Amt zurück, ist zu bemerken, dass das Thema in der Bundesrepublik eigentlich obsolet geworden ist. Wenn es in dem Fall wieder aufgegriffen wird, erklärt sich das wohl aus den Umständen des etwas verfrühten Wahlkampfes. Jedenfalls denkt hier vermutlich keiner daran, die den totalitären Staaten übliche Intoleranz zum Usus zu machen. Ein russischer Journalist kann sich eine damit zusammenhängende Frage allerdings nicht verkneifen. Warum wird in manchen hiesigen Medien die für das heutige Deutschland typische Toleranz ad acta gelegt, wenn es um Russland geht? Da beginnen die Medien darauf zu trampeln, welche Funktion dieser oder jener russische Staatsmann unter der Sowjetmacht ausgeübt hat. Als dürfte, wenn es um Russland geht, mit einem ganz anderen Maß gemessen werden. Und die Russen weniger zum Wandel als die Deutschen fähig sind. 7.4.05 ------------- In den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses in Deutschland ist ein neues Gesetz gegen die Diskriminierung gerückt. Die von den Parteien der Regierungskoalition eingebrachte Gesetzesvorlage traf auf den erbitterten Widerstand von Opposition und Unternehmerverbänden. Sie bemängeln, dass der mit der Gesetzesvorlage beabsichtigte Schutz der Minderheiten erheblich weiter als die entsprechenden Bestimmungen in anderen europäischen Ländern gehe. Demnach würde das Gesetz Deutschland im wirtschaftlichen Wettbewerb belasten. Für einen Außenstehenden, zumal für einen russischen Journalisten, ist es schwierig, darüber zu befinden, ob die Gefahr tatsächlich besteht. Ihm leuchtet aber ein, dass Deutschland im Schutz der Menschenrechte tatsächlich weiterkommt als die anderen europäischen und erst recht außereuropäische Staaten. Obwohl- oder vielleicht gerade deswegen, weil es um ein Land geht, das ganz andere Zeiten erlebt hat. Noch vor sechzig Jahren wurden hier bekanntlich die Rechte der Minderheiten mit Füssen getreten. Wegen einer, mit Verlaub gesagt, „falschen“ Abstammung kam man als „Untermensch“ in die Gaskammer. Wegen einer von oben nicht akzeptierten Weltanschauung ins KZ oder unter das Fallbeil. Sogar eine nicht übliche sexuelle Orientierung, sogar eine körperliche Behinderung führten zu fatalen Folgen. Jetzt wird hier ein Zustand angestrebt, der das absolute Gegenteil sein würde. Jegliche denkbare Benachteilungen wegen eines abweichenden Verhaltens oder Persönlichkeitsbildes werden nirgendwo stattfinden dürfen. Nicht bei Arbeits- oder Studienplatz- oder auch Wohnungssuche, bei Gewährung von sozialen Leistungen und auch in anderen Lebenssituationen. Eigentlich ist es schon ein in der Verfassung verankerter Zustand. Jetzt soll er aber vervollkommnet und einklagbarer gemacht werden.
Sogar die alten Demokratien, die sich oft als non plus ultra in der Absicherung von Menschenrechten darstellen, können sich davon eine dicke Scheibe abschneiden. Obwohl es der dort tief eingewurzelten Auffassung von Deutschland widerspricht. Dem Mythos von einem Land, das durch seine Geschichte oder auch Eigenheiten seiner Bürger dazu verdammt ist, ein ewiger Eleve der anderen zu sein. Von ihnen „umerzogen“, wenn es hochkommt auch abgekanzelt zu werden. Die Entwicklung zum heutigen Deutschland begann in den Tagen, an die jetzt die deutschen Medien immer wieder erinnern. Es war im Jahr 1945, nach dem totalen Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. In dieser von Tod und Zerstörung gezeichneten Zeit wurde das neue Deutschland geboren. Auch wenn die Geburtswehen schmerzvoll waren und über jedes Maß dauerten, rappelte sich das Land vom Schrecken Europas zum Träger seiner besten Traditionen auf. Bekanntlich fiel damals die Rolle der Hebamme einem Land zu, das selbst von einer Diktatur unterdrückt wurde. Russland. Jetzt wird in Deutschland viel darauf hingewiesen, dass die Russen die von ihnen von der Historie auferlegte Mission nicht ohne vermeidbare Nebenwirkungen erledigten. Es stimmt, darf aber das Entscheidende nicht vergessen lassen. Die Tatsache, dass sie es waren, die dem schlimmsten Unrechtstaat der Geschichte den Garaus machten. Und damit den Bauplatz für einen anderen deutschen Staat freilegten, der heute in der Sicherung der Menschenrechte allen voraus ist. Auch Russland selbst. Aber Russland wird einholen. Genauso wenig wie Deutschland ist es durch die Vergangenheit dazu verdammt, zurückzubleiben. In jeder Hinsicht, auch was die Gewährung der Menschenrechte angeht. 16.3.05
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